Bochner-Integral

Das Bochner-Integral, benannt nach Salomon Bochner, ist eine Verallgemeinerung des Lebesgue-Integrals auf Banachraum-wertige Funktionen.

Definition

Es seien ( Ω , A , μ ) {\displaystyle (\Omega ,{\mathcal {A}},\mu )} ein σ {\displaystyle \sigma } -endlicher, vollständiger Maßraum und ( B , ) {\displaystyle (B,\|\cdot \|)} ein Banachraum.

Das Bochner-Integral Ω f d μ {\displaystyle \int _{\Omega }f\,{\rm {d}}\mu } einer Funktion f : Ω B {\displaystyle f\colon \Omega \to B} ist nun folgendermaßen definiert:

Als einfache Funktion bezeichnen wir Funktionen der Gestalt

s ( x ) = i = 1 m α i χ X i ( x ) {\displaystyle s(x)=\sum _{i=1}^{m}\alpha _{i}\chi _{X_{i}}(x)}

mit Faktoren α i B {\displaystyle \alpha _{i}\in B} und messbaren Mengen X i A {\displaystyle X_{i}\in {\mathcal {A}}} , wobei χ X i {\displaystyle \chi _{X_{i}}} deren Indikatorfunktion bezeichnet. Das Integral einer einfachen Funktion ist nun auf naheliegende Weise definiert:

Ω s d μ := i = 1 m α i μ ( X i ) {\displaystyle \int _{\Omega }s\,{\rm {d}}\mu :=\sum _{i=1}^{m}\alpha _{i}\mu (X_{i})} ,

wobei dies wohldefiniert, also unabhängig von der konkreten Zerlegung von s {\displaystyle s} ist.[1]

Eine Funktion f : Ω B {\displaystyle f\colon \Omega \rightarrow B} heißt μ {\displaystyle \mu } -messbar oder Bochner-messbar, wenn es eine Folge ( s n ) n N {\displaystyle (s_{n})_{n\in \mathbb {N} }} einfacher Funktionen gibt, so dass lim n s n ( x ) = f ( x ) {\displaystyle \textstyle \lim _{n\to \infty }s_{n}(x)=f(x)} für μ {\displaystyle \mu } -fast alle x Ω {\displaystyle x\in \Omega } gilt.[2]

Eine μ {\displaystyle \mu } -messbare Funktion f : Ω B {\displaystyle f\colon \Omega \rightarrow B} heißt Bochner-integrierbar[3], falls es eine Folge ( s n ) n N {\displaystyle (s_{n})_{n\in \mathbb {N} }} einfacher Funktionen gibt, so dass

  • lim n s n ( x ) = f ( x ) {\displaystyle \lim _{n\to \infty }s_{n}(x)=f(x)} für μ {\displaystyle \mu } -fast alle x Ω {\displaystyle x\in \Omega } gilt und
  • zu jedem ε > 0 {\displaystyle \varepsilon >0} ein n 0 = n 0 ( ε ) N {\displaystyle n_{0}=n_{0}(\varepsilon )\in \mathbb {N} } existiert mit
Ω s n s k d μ < ε {\displaystyle \int _{\Omega }\|s_{n}-s_{k}\|{\rm {d}}\mu <\varepsilon } für alle n , k n 0 {\displaystyle n,k\geq n_{0}} .

In diesem Fall ist

Ω f d μ := lim n Ω s n d μ {\displaystyle \int _{\Omega }f\,{\rm {d}}\mu :=\lim _{n\to \infty }\int _{\Omega }s_{n}\,{\rm {d}}\mu }

wohldefiniert, das heißt unabhängig von der Wahl der konkreten Folge ( s n ) n N {\displaystyle (s_{n})_{n\in \mathbb {N} }} mit obigen Eigenschaften.[4] Falls M A {\displaystyle M\in {\mathcal {A}}} und f : M B {\displaystyle f\colon M\rightarrow B} , so schreibt man

M f d μ := Ω f ~ d μ {\displaystyle \int _{M}f{\rm {d}}\mu :=\int _{\Omega }{\tilde {f}}{\rm {d}}\mu } mit f ~ ( x ) := { f ( x )   , f a l l s   x M   , 0   , f a l l s   x Ω M , {\displaystyle {\tilde {f}}(x):=\left\{{\begin{array}{ll}f(x)\ ,&{\rm {falls}}\ x\in M\ ,\\0\ ,&{\rm {falls}}\ x\in \Omega \setminus M,\\\end{array}}\right.}

sofern f ~ {\displaystyle {\tilde {f}}} Bochner-integrierbar ist.[5]

Messbarkeitssatz von Pettis

Der folgende auf Billy James Pettis zurückgehende Satz charakterisiert die μ {\displaystyle \mu } -Messbarkeit:

Die Funktion f : Ω B {\displaystyle f\colon \Omega \to B} ist genau dann μ {\displaystyle \mu } -messbar, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind:

  • Für jedes stetige lineare Funktional ϕ B {\displaystyle \phi \in B'} ist ϕ f : Ω K {\displaystyle \phi \circ f\colon \Omega \to {\mathbb {K} }} μ {\displaystyle \mu } -messbar.
  • Es gibt eine μ {\displaystyle \mu } -Nullmenge N Ω {\displaystyle N\subset \Omega } , so dass f ( Ω N ) B {\displaystyle f(\Omega \setminus N)\subset B} separabel bzgl. der Normtopologie ist.

Ist B {\displaystyle B} ein separabler Banachraum, so ist die zweite Bedingung automatisch erfüllt und damit entbehrlich. Insgesamt ist die μ {\displaystyle \mu } -Messbarkeit B {\displaystyle B} -wertiger Funktionen mit diesem Satz auf die μ {\displaystyle \mu } -Messbarkeit skalarer Funktionen zurückgeführt.

Bochner-Integrierbarkeit

Die folgende von Bochner gefundene äquivalente Charakterisierung Bochner-integrierbarer Funktionen erlaubt es, einige klassische Resultate der lebesgueschen Integrationstheorie wie z. B. den Satz von der majorisierten Konvergenz auf das Bochner-Integral zu übertragen:

Eine μ {\displaystyle \mu } -messbare Funktion f : Ω B {\displaystyle f\colon \Omega \to B} ist genau dann Bochner-integrierbar, wenn f : Ω R {\displaystyle \|f\|:\Omega \to \mathbb {R} } Lebesgue-integrierbar ist.

Eigenschaften

In diesem Abschnitt ist B {\displaystyle B} ein Banachraum und f , g : Ω B {\displaystyle f,g\colon \Omega \rightarrow B} sind integrierbare Funktionen.

Linearität

Das Bochner-Integral ist linear, das heißt, für Bochner-integrierbare Funktionen f , g : Ω B {\displaystyle f,g\colon \Omega \rightarrow B} und beliebige α , β K {\displaystyle \alpha ,\beta \in \mathbb {K} } ist auch α f + β g {\displaystyle \alpha f+\beta g} integrierbar, und es gilt:

Ω ( α f + β g ) d μ = α Ω f d μ + β Ω g d μ {\displaystyle \int _{\Omega }(\alpha f+\beta g)\,\mathrm {d} \mu =\alpha \int _{\Omega }f\,\mathrm {d} \mu +\beta \int _{\Omega }g\,\mathrm {d} \mu } .

Verkettung mit einem stetigen Operator

Es sei D {\displaystyle D} ein Banachraum und T L ( B , D ) {\displaystyle T\in L(B,D)} ein stetiger linearer Operator. Dann ist T f : Ω D {\displaystyle Tf\colon \Omega \to D} eine integrierbare Funktion und es gilt[6]

T ( Ω f ( x ) d μ ( x ) ) = Ω T ( f ( x ) ) d μ ( x ) {\displaystyle T\left(\int _{\Omega }f(x)\mathrm {d} \mu (x)\right)=\int _{\Omega }T(f(x))\mathrm {d} \mu (x)} .

Radon–Nikodym-Eigenschaft

Hauptartikel: Radon-Nikodym-Eigenschaft

Der Satz von Radon-Nikodým gilt für das Bochner-Integral im Allgemeinen nicht. Banachräume, für die dieser Satz gilt, bezeichnet man als Banachräume mit der Radon-Nikodym-Eigenschaft. Reflexive Räume besitzen stets die Radon-Nikodym-Eigenschaft.[7]

Bochner-Lebesgue-Räume

Ist ( Ω , A , μ ) {\displaystyle (\Omega ,{\mathcal {A}},\mu )} ein σ {\displaystyle \sigma } -endlicher, vollständiger Maßraum und ( B , ) {\displaystyle (B,\|\cdot \|)} ein Banachraum, so nennt man für 1 p {\displaystyle 1\leq p\leq \infty } den Raum L p ( Ω , A , μ , B ) {\displaystyle L^{p}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu ,B)} der Bochner-integrierbaren Funktionen Ω B {\displaystyle \Omega \rightarrow B} einen Bochner-Lebesgue-Raum, wobei wie üblich μ {\displaystyle \mu } -fast gleiche Funktionen identifiziert werden durch Äquivalenzklassen. Man erhält mit der Norm

f p := ( Ω f ( ω ) p d μ ( ω ) ) 1 / p , 1 p < {\displaystyle \|f\|_{p}:=\left(\int _{\Omega }\|f(\omega )\|^{p}\mathrm {d} \mu (\omega )\right)^{1/p},\quad 1\leq p<\infty }
f := e s s sup f ( ω ) , p = {\displaystyle \|f\|_{\infty }:=\mathrm {ess} \sup \|f(\omega )\|,\quad \quad p=\infty }

einen Banachraum. Dieser lässt sich wie folgt als Tensorprodukt beschreiben. Man rechnet nach, dass durch

L p ( Ω , A , μ ) × B L p ( Ω , A , μ , B ) , ( f , α ) f ( ) α {\displaystyle L^{p}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu )\times B\rightarrow L^{p}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu ,B),\,(f,\alpha )\mapsto f(\cdot )\alpha }

eine bilineare Abbildung gegeben ist, die einen isometrischen Isomorphismus

L p ( Ω , A , μ ) ^ π B L p ( Ω , A , μ , B ) {\displaystyle L^{p}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu )\mathbin {{\hat {\otimes }}_{\pi }} B\cong L^{p}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu ,B)}

definiert, wobei ^ π {\displaystyle {\hat {\otimes }}_{\pi }} das projektive Tensorprodukt bezeichne.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. Birkhäuser, Basel u. a. 2001, ISBN 3-7643-6613-3.
  • Malempati M. Rao: Measure Theory and Integration (= Pure and Applied Mathematics. A Program of Monographs, Textbooks, and Lecture Notes. Bd. 265). 2nd edition, revised and expanded. Dekker, New York NY u. a. 2004, ISBN 0-8247-5401-8, S. 505 ff.

Einzelnachweise

  1. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, Bemerkung X.2.1 (a).
  2. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, S. 65.
  3. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, S. 87.
  4. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, Korollar X.2.7.
  5. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, S. 94.
  6. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2001, S. 92.
  7. Joseph Diestel, John Jerry Uhl: Vector Measures (= Mathematical Surveys. Bd. 15). American Mathematical Society, Providence RI 1977, ISBN 0-8218-1515-6, Corollary III.2.13.
  8. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Beispiel 2.19