Metzengerstein

Metzengerstein, Ausgabe in der Zeitschrift Southern Literary Messenger, January 1836
Illustration von Byam Shaw für eine Londoner Ausgabe, 1909

Metzengerstein ist die erste Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. Sie erschien erstmals 1832 in The Saturday Courier, zum zweiten Mal 1836 in The Southern Literary Messenger unter dem erweiterten Titel Metzengerstein, a Tale in Imitation of the German (M., eine Erzählung im deutschen Stil).

Inhalt

Poe eröffnet mit einem Satz, der geradezu als Programm seiner Kurzgeschichtenproduktion gelten kann: Entsetzen und Unglück rasen in ungezügeltem Lauf durch alle Jahrhunderte. Zwei Familien, die Metzengerstein und die Berlifitzing, leben in dicht beieinander stehenden Burgen in jahrhundertealter Feindschaft in Ungarn. Wilhelm Graf von Berlifitzing ist ein erloschener alter Mann, der nur noch ein Vergnügen kennt, die Jagd.

Sein Rivale ist Frederick Baron von Metzengerstein, ein noch junger Mann im Vollbesitz seiner Kräfte. Er hat gerade seine Eltern verloren und verübt Grausamkeiten ohne Zahl und Maß, weshalb er als zweiter Caligula bezeichnet wird. So steckt er auch die Stallungen Berlifitzings an und versinkt, nun auch noch zweiter Nero, während sie brennen, in die Betrachtung eines Wandbehangs, der ein riesiges Schlachtross zeigt, dessen Reiter, ein Berlifitzing, im Hintergrund von einem Metzengerstein getötet wird. Im Feuerschein der brennenden Stallungen scheint dieses Ross sich zu bewegen, zum Leben zu erwachen und flehmend Totenzähne zu entblößen. Erschreckt eilt Metzengerstein ins Freie. Dort führen ihm drei Stallburschen ein riesiges, feuerrotes Pferd zu, das sie kaum zu bändigen vermögen. Angeblich ist es aus den brennenden Stallungen Berlifitzings ausgebrochen, es trägt auch das Brandzeichen W.V.B. auf seiner Stirn – aber die Knechte Berlifitzings leugnen, mit dem Tier etwas zu tun zu haben – und der alte Berlifitzing ist bei dem Versuch, seine Pferde zu retten, im Feuer umgekommen.

Dieses namenlos bleibende Ross wird nun zum Lebensinhalt Fredericks von Metzengerstein, der seiner früheren Bosheit entsagt und das Tier so oft reitet, dass er scheinbar aus seinem Sattel gar nicht mehr herauskommt. Ein Page behauptet, Frederick besteige es nie ohne inneres Grauen. Eines Morgens, als er mit dem Pferd im Wald verschwunden ist, geht sein Schloss in Flammen auf. Hilflos schauen die Umwohner zu; da kommt das Pferd in rasendem Galopp zurück, Metzengerstein hat offenbar die Herrschaft darüber verloren, Pferd und Reiter verschwinden in der brennenden Burg, über der sich eine Rauchwolke in Gestalt eines Pferdes bildet.

Deutung

Schon in dieser ersten Kurzgeschichte bedient sich Poe des für ihn typischen Kunstgriffs, der Erzählung eine theoretische Betrachtung vorauszuschicken. Hier geht er darauf ein, dass die Geschichte einer Zeit entstamme, in der die Seelenwanderung viele Anhänger hatte. Er legt damit die Deutung nahe, dass die Seele des alten Berlifitzing im Augenblick seines Todes in das riesige Ross übergegangen sei, das sein Brandzeichen auf der Stirn trägt und das Frederick von Metzengerstein in denselben Feuertod trägt, den auch der alte Berlifitzing erlitten hat. Poe stützt diese Deutung noch, indem er zu Beginn eine Prophezeiung anführt:

Ein großer Name wird auf das Schrecklichste untergehen, wenn die Sterblichkeit von Metzengerstein, wie der Reiter über sein Ross, über die Unsterblichkeit von Berlifitzing triumphiert. (A lofty name shall have a fearful fall when, as the rider over his horse, the mortality of Metzengerstein shall triumph over the immortality of Berlifitzing.)

Nicht der Reiter hat über das Ross, sondern das Ross über den Reiter triumphiert, die Prophezeiung kehrt sich also um in Ein großer Name wird untergehen, wenn die Sterblichkeit von Berlifitzing (das Pferd) über die – scheinbare – Unsterblichkeit von Metzengerstein triumphiert.

Bedenkt man aber, wie oft es Frauengestalten sind, die bei Poe zu unheimlichem neuem Leben erwachen (in Morella, Der Untergang des Hauses Usher, Eleonora, Ligeia) und dass das Pferd die Totenzähne der Berenice entblößt, dann drängt sich auch hier die Deutung von Marie Bonaparte auf, die in dem aus einem Wandteppich zum Leben erwachenden Ross („steed“) ein Symbol der Mutter erblickt, mit der sich der Protagonist infolge des Inzestverbots (sein Schauder beim Besteigen des Pferdes!) nur im Tod vereinigen kann – vergleichbar dem synchronen Selbstmord des Fremden und der Marchesa Afrodite in Die Verabredung.

Unüberhörbar ist ein satirischer Ton (z. B. die Namen der beiden Familien), mit dem Poe sich von dieser deutschen Art der Schreckenserzeugung bereits frühzeitig distanziert. In der Vorrede zu Tales of the Grotesque and Arabesque heißt es 1840, nur eine seiner Erzählungen (wahrscheinlich Metzengerstein) bediene sich germanischen Pseudo-Horrors, im Übrigen aber stamme sein Schrecken nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele.

Adaptionen

Literatur

Ausgaben

Die maßgebliche moderne Ausgabe ist mitsamt kritischem Apparat auch online verfügbar:

  • Metzengerstein. In: Thomas Ollive MabbottThomas Ollive Mabbott (Hrsg.): Collected Works of Edgar Allan Poe. Band 2: Tales & Sketches I. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge Mass. 1978, S. 15–31.

Sekundärliteratur

  • Jerome DeNuccio: History, Narrative, and Authority: Poe's Metzengerstein. In: College Literature 24:2, 1997, S. 71–81.
  • Benjamin F. Fisher: Poe's 'Metzengerstein': Not a Hoax. In: American Literature 42, 1971, S. 487–94.
  • Travis Montgomery: Poe's Oriental Gothic: Metzengerstein (1832), The Visionary (1834), Berenice (1835), the Imagination and Authorship's Perils. In: Gothic Studies 12:2, 2010, S. 4–28.
  • George H. Soule, Jr: Byronism in Poe's 'Metzengerstein' and 'William Wilson' . In: ESQ 24, 1978, S. 152–62.
  • G. R. Thompson: Poe's 'Flawed' Gothic: Absurdist Techniques in 'Metzengerstein' and the 'Courier' Satires. In: Emerson Society Quarterly 60 (Supplementheft), 1970, S. 38–58. Überarbeitete Fassung in: G. R. Thompson: Poe's Fiction: Romantic Irony in the Gothic Tales. Wisconsin University Press, Madison Wisc., 1973, S. 52ff.

Weblinks

Wikisource: Metzengerstein – Quellen und Volltexte (englisch)
  • deutscher Text online bei Haus Freiheit
  • Deutsche Übersetzung bei Gutenberg
Gedichte

Tamerlane (1827) • Song (1827) • Dreams (1827) • Spirits of the Dead (1827) • Evening Star (1827) • Imitation (1827) • Stanzas (1827) • A Dream (1827) • The Happiest Day (1827) • The Lake (1827) • Sonnet—To Science (1829) • Al Aaraaf (1829) • Romance (1829) • To — — (1829) • To The River — (1829) • To M— (1829) • Fairy-Land (1829) • To Helen (1831) • Israfel (1831) • Die Schlafende (1831) • The Valley of Unrest (1831) • The City in the Sea (1831) • Enigma (1833) • Serenade (1833) • To — (Sleep On) (1833) • Fanny (1833) • The Coliseum (1833) • To One in Paradise (1834) • To Elizabeth (1835) • To Mary (1835) • Bridal Ballad (1837) • To Zante (1837) • The Haunted Palace (1839) • Sonnet — Silence (1840) • Der Erobererwurm (1843) • Lenore (1843) • Dream-Land (1844) • Eulalie (1845) • Der Rabe (1845) • Impromptu. To Kate Carol (1845) • To — (1845) • The Divine Right of Kings (1845) • Stanzas (1845) (1845) • A Valentine (1846) • To M. L. S— (1847) • Ulalume (1847) • To Marie Louise (1848) • An Enigma (1848) • The Bells (1849) • A Dream Within a Dream (1849) • For Annie (1849) • Eldorado (1849) • To my Mother (1849) • Annabel Lee (1849) • O, Tempora! O, Mores! (1868) • Alone (1875)

Gedichtbände

Tamerlane and Other Poems (1827) • Al Aaraaf, Tamerlane and Minor Poems (1829) • Poems (1831) • The Raven and Other Poems (1845)

Geschichten

Metzengerstein (1832)  • The Duc de L’Omelette (1832) • A Tale of Jerusalem (1832) • Loss of Breath (1832) • Bon-Bon (1832) • MS. Found in a Bottle (1833) • Die Verabredung (1834) • Berenice (1835) • Morella (1835) • Lionizing (1835) • The Unparalleled Adventure of One Hans Pfaall (1835) • König Pest (1835) • Shadow – A Parable (1835) • Four Beasts in One – The Homo-Cameleopard (1836) • Mystification (1837) • Silence – A Fable (1837) • Ligeia (1838) • How to Write a Blackwood Article (1838) • A Predicament (1838) • The Devil in the Belfry (1839) • The Man That Was Used Up (1839) • Der Untergang des Hauses Usher (1839) • William Wilson (1839) • The Conversation of Eiros and Charmion (1839) • Why the Little Frenchman Wears His Hand in a Sling (1840) • The Business Man (1840) • Der Mann der Menge (1840) • Der Doppelmord in der Rue Morgue (1841) • A Descent into the Maelström (1841) • The Island of the Fay (1841) • The Colloquy of Monos and Una (1841) • Never Bet the Devil Your Head (1841) • Eleonora (1841) • Drei Sonntage in einer Woche (1841) • Das ovale Porträt (1842) • Die Maske des Roten Todes (1842) • The Landscape Garden (1842) • Das Geheimnis der Marie Rogêt (1842) • Die Grube und das Pendel (1842) • Das verräterische Herz (1843) • Der Goldkäfer (1843) • Der schwarze Kater (1843) • Diddling (1843) • The Spectacles (1844) • A Tale of the Ragged Mountains (1844) • The Premature Burial (1844) • Mesmerische Offenbarung (1844) • Die längliche Kiste (1844) • The Angel of the Odd (1844) • Thou Art the Man (1844) • The Literary Life of Thingum Bob, Esq. (1844) • Der entwendete Brief (1844) • The Thousand-and-Second Tale of Scheherazade (1845) • Some Words with a Mummy (1845) • The Power of Words (1845) • The Imp of the Perverse (1845) • The System of Doctor Tarr and Professor Fether (1845) • Die Tatsachen im Fall Waldemar (1845) • Die Sphinx (1846) • Das Fass Amontillado (1846) • The Domain of Arnheim (1847) • Mellonta Tauta (1849) • Hopp-Frosch (1849) • Von Kempelen and His Discovery (1849) • X-ing a Paragrab (1849) • Landor’s Cottage (1849)

Andere Werke

Maelzel’s Chess Player (1836) • The Daguerreotype (1840) • The Philosophy of Furniture (1840) • A Few Words on Secret Writing (1841) • The Rationale of Verse (1843) • Morning on the Wissahiccon (1844) • Old English Poetry (1845) • Die Philosophie der Komposition (1846) • Das poetische Prinzip (1846) • Heureka (1848) • The Balloon-Hoax (1844) • The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket (1838) • Das Tagebuch des Julius Rodman (1840) • Politian (1835) • The Conchologist’s First Book (1839) • Der Leuchtturm (1849)